„Das Sommerfest“

Datum: 13. August

An: Firma, gesamt

Von: Rudy Zhaal

Betr.: Sommerfest 😀

Hey Leute!

Ursprünglich sollte diese Mail nur aus einem einzigen Wort bestehen (D A N K E !), aber das kam mir dann doch etwas mager und 2D und seltsam vor, weswegen ich noch etwas ergänzen will.

Ich danke euch. Ihr macht mich stolz. Ihr seid tatkräftige, hilfsbereite, ansehnliche Menschen — und ich sage bewusst Menschen und nicht Mitarbeiter, denn hier geht’s mir um die pure, reine Menschlichkeit. Vergesst die Zahlen. Über die reden wir nicht. Die Zahlen stimmen mehr denn je. Ich stehe oft genug in Kontakt mit anderen Firmeninhabern, und ich weiß, es ist absolut nicht einfach, dieses familiäre Klima, das sich alle immer wünschen, in einem Unternehmen herzustellen und auch zu halten, insbesondere, wenn man sich nicht regelmäßig sieht, also außerhalb dieser Arbeitssituation und vor allem in erweitertem Kreis. 

Vielleicht denkt ihr jetzt, wenn ihr diesen Text so seht, wow, was für ein Brocken, da kommt doch bestimmt noch was, was Tadelndes, eine üble Ankündigung, eine Rampe zum großen Rausschmiss — keine Sorge. Kommt nicht. Dies ist eine grundpositive Dankesmail. Ich schreibe frei assoziiert und grundehrlich von der Leber weg. Und was uns bewegt, meiner Leber und mich, das ist einfach dieses tiefe Gefühl der Dankbarkeit, der Verbundenheit mit euch. Vielleicht sind es auch die Nachwehen gewisser rührselig machender, äh, Dinge vom Sommerfest, die mich so freudig schreiben lassen 🙂

Wo wir beim Sommerfest waren: Insbesondere möchte ich mich natürlich für euer zahlreiches Erscheinen zu eben diesem bedanken. Es war ja wirklich ein ganz schönes Gelage zum Ende hin (ich sag nur die beiden neuen Praktikanten, haha, aber keine Sorge, wir vergessen das alle bestimmt bald wieder (das tun wir doch, Leute, oder? :D))… Und ich weiß ja nicht, wie es euch ging, aber ich fand das Essen absolut fantastisch. Wofür ich mich noch mal bei Gregorius bedanken möchte, der mir diese Cateringfirma empfohlen hat. Es war exakt, wie du versprochen hast, Greg: Lecker und absolut ungewöhnlich! Diese kleinen Tartarröllchen, die aussahen wie Schneckenhäuschen… Unfassbar. Sowas ist mir wirklich jeden Preis wert. Genauso wie die Band, die dann ja leider früher aufhören musste, wegen dieses kleinen Kabelbrands auf der Bühne (Andi, hat dein Sohn da wieder gezündelt? ;D), aber irgendwie war das ja auch sein eigenes… Highlight. Sprichwörtlich. 

Das Essen, die Musik, die coole Beleuchtung, das alles war echt cool, aber mein persönliches Highlight war die Stimmung an sich. Der Vibe. Das Klima. Es wird ja immer von Betriebsklima geredet, und ich möchte, dass das bei uns passt. Dass wir zusammenhalten und miteinander Spaß haben, dass wir dieses familiäre Feeling bei uns haben und pflegen. Das war mir immer klar. Aber wisst ihr, wo mir das noch mal so richtig klar geworden ist? Als diese Sache mit Leo war. Ich weiß noch, wie ich damals gedacht habe: Scheisse, der arme Leo, was soll denn seine Frau jetzt machen? Ilsa hieß sie. Ich saß da, sicher drei Tage, und habe über Leos Fall gebrütet. Es tat mir einfach so leid. Ilsa allein zu hause mit dem Kind, Leo völlig ausser Gefecht, für mindestens ein halbes Jahr kein Einkommen, kein Arbeitslosengeld, und die paar Pennies, die der Staat ihm geben wollte, das war ja, gelinde gesagt, eine vaterländliche Ohrfeige: „Oh, schön, du arbeitest hart, zahlst deine Steuern, wie nett, oh, du hast eine Infektion der Nervenenden, die keine unserer Versicherungen kennt, mhm, tja, was machen wir denn da, vielleicht mal einfach nix. Na, hier hast du ein paar Pennies, armer Lump.“

Kennt ihr das? Wenn sich so nach und nach das Wissen in euch senkt? Eine Art Erkenntnis, ein Schwingen in eine ganz bestimmte Richtung? Ihr wisst, ihr habt etwas zu tun, und ihr spürt es richtig stark, aber ihr habt einfach keine rechte Begründung dafür, ihr wisst nur: Das ist, was ich tun muss. Es muss nicht mal das richtige sein. Vielleicht ist es sogar das falsche. Aber das muss ich jetzt tun. Also hab ich Leos Frau angerufen und gesagt: „Ilsa. Es tut mir unendlich leid. Das mit Leos Nervenenden, und dass er — dass ihr jetzt bestimmt sechs Monate lang kein Einkommen habt und die Versicherung das nicht abdeckt, weil das nicht in irgendwelchen Katalogen steht. Bitte lasst mich helfen.“ Und nicht bitte lasst mich helfen, sondern: Ihr lasst mich jetzt helfen! Haha! Ilsa hat dann gesagt, dass es ja wirklich schwierig sei, Leo so viel in der Firma (hab ich ein bisschen Gewissensbisse bekommen), sie ständig allein zuhause mit dem Kleinen. Da hat’s mich gepackt. Da bin ich kurzentschlossen rübergefahren und hab Ilsa gesagt: „Ilsa. Hier ist, was wir machen: Ich überweise euch einfach weiter das monatliche Gehalt, das Leo bekommen hat,“ (-ich hab ihr erklärt, wir verklausulieren das als rückwirkenden Bonus für Leos Leistung auf den Lofoten, damit da keine Lohnsteuer-Fragen kommen-) „und sobald er wieder fit ist, steht dein Mann einfach wieder bei uns auf der Matte. Okay? Wann auch immer das ist. Ihr müsst auch nichts zurückzahlen oder so. Das ist meine Hilfe an euch, einfach, weil ich euch zu meiner Familie zähle.“ Ich weiß noch, wie glücklich Ilsa war. Wie unglaublich dankbar. Sie war so tief berührt von meiner Großzügigkeit und ich war so tief berührt von ihrer Dankbarkeit. Und das ist, was ich meine. Das ist, was ich bei uns so liebe: Diese tiefe Menschlichkeit, Wir unterstützen uns gegenseitig. Wir finden Lösungen, die auch mal außerhalb von Katalogen liegen, außerhalb des Normalnulls von anderen Firmen. 

Und deshalb, Freunde, fand ich es so schön, dass wir auf unserem Sommerfest so zahlreich waren. Dass man mal mehr von euren Plus-Einsen sehen durfte, dass ich mal wusste, wer da noch so ist, hinter den starken Männern, die den Laden hier am Laufen halten. Wer sind die, die euch am laufen halten? Heisst es nicht im Volksmund „hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau“? (Ich weiß nicht, ist das schon sexistisch? Schließt das irgendwen aus? Ihr wisst, das ist nicht meine Absicht. Ich bin von der alten Schule und finde es mitunter schwierig, mich in diesem neuen Richtig / Falsch zurechtzufinden. Ich weiß nur: Ich zähle euch zu meiner Familie. Und wir machen hier weder irgendwas, was niemand sehen darf, noch sind wir hier in irgendeiner Weise exklusiv. Also bringt sie gerne mit, eure starken Frauen, eure Kinder, oder Schwestern oder wasweißich. 

(Nur wenn die Kinder zu klein sind, also zu jung, dann ist das vielleicht keine gute Idee, weil sie dann vielleicht doch was kaputt machen, oder sich (-noch schlimmer, die armen-) vielleicht langweilen, denn so arg spannend ist es für ein Kind ja nicht, was wir hier machen.)

Wisst ihr, ich mochte nie dem Kommunismus. Am Ende des Tages bin ich ein Kapitaler – ich meine, seht mich an, wie ich in meinem F355er grinsend auf den Parkplatz meiner schönen Firma rolle, da ist es schwer, dem Kapitalismus gegenüber nicht zu danken, (was übrigens, wenn ihr so großartig weiter macht, auch einige von euch bald tun werden, also per F355er auf den Parkplatz rollen und dem Kapitalismus danken, denn es gibt da einige, die haben richtig gute Karten), aber: der kommunistische Gedanke des Teilens, dieses sich gegenseitigen Helfens – und vor allem gleichwertigen Helfens, das ist ein starker. Rot, aber stark. So, wie der F355er. (Und rot ist ja auch die Farbe der Liebe, nicht wahr?) Und ich sage gleichwertig, weil ich das meine. Wenn mich z.B. Dizzy anruft, weil er Hilfe bei etwas schwerem zum Tragen braucht, dann schwinge ich mich aus meinem Stuhl und helfe ihm. Natürlich helfe ich ihm. Ich sage nicht: „Dizzy, ruf doch eine verdammte Spedition oder die verdammten Praktikanten an“. Ich sage: „Klar, Dizzy. Gib mir 5 Minuten, dann bin ich in der Garage und helf dir.“ Vielleicht sage ich auch: „Hey, Dizzy, schöner Wagen. Hast du mal über einen F355er nachgedacht?“ Sowas meine ich mit gleichwertig. Weswegen ich zum Abschluss doch noch mal eine Sache ansprechen muss, die mir auf der Sommerparty ein kleines Bisschen unschön aufgestoßen ist. (Ich weiß, ich hatte eingangs geschrieben, das hier wäre nicht so eine Mail, aber es fließt jetzt nun mal so aus mir raus.) Wo wir nämlich grad bei Dizzy waren. Dizzy, mein alter Freund. Du bist einer derjenigen, die auf der F355er-Liste ganz weit oben stehen. Das weißt du. Das sage ich auch oft genug. Ich habe dich hier aufgenommen, als du ganz unten warst. Nicht auf der Liste. Im Leben. Du warst wirklich down, als ich dir deinen Job gegeben habe, aber ich habe dich gesehen und war sicher, dass ist einer, der hat die zwei Eigenschaften, die ich suche: Der arbeitet hart und ist kreativ. Du, Dizzy, bist das, was ich einen kreativen Schwerstarbeiter nenne. Deine Kreativität und deine Offenheit, das waren Dinge, die ich immer an dir geschätzt habe. 

Ich glaube, du kannst nicht sagen, Dizzy, dass es dir an etwas mangelt. Oder? Du hast hier Freundschaft, Rückhalt, Freiheit. Von deinem Salär brauchen wir nicht zu reden. Das ist am unwichtigsten. Sowieso höher als bei allen anderen Firmen. Aber weisst du was? Das ist immer noch zu wenig. Jemand mit deiner Kreativität und Offenheit, mit deiner Weitsicht, der verdient mehr, als jede Firma zahlen kann. Dizzy war für mich immer jemand, der herrlich un-Kleingeistig war. Worauf ich hinaus will: Ich habe dich immer unterstützt, Dizzy. Deine Kreativität und un-kleingeistige Weitsicht immer gefördert. Kannst du mir also mal verraten, was das auf dem Sommerfest war? Warum du und Delia, warum ihr so plötzlich abgehauen seid? Ich verstehe das nämlich nicht. Du weißt, dass mir das wichtig ist. Dass ihr alle dabei seid, dass Delia auch dabei ist. Und ich finde es ehrlich gesagt nicht schön, dass du Delia mitten in unserem Tanz rauswinkst und mir nichts dir nichts schnaubend das Sommerfest verlässt, polnischer Abgang inklusive, Delia an der Hand und alles. Weißt du, was das für mich ist? Das, Dizzy, ist das Gegenteil von familiär. Ich weiß noch, wie alle geguckt haben, als du sie weggezogen hast. In jeder Familie wird gestritten, klar, gibt’s Zerwürfnisse und so. Aber das war nicht cool, Dizzy. Nicht okay. Hast du Delia überhaupt gefragt, ob sie das wollte? Einfach so weggezerrt zu werden, mitten im schönsten Tanz? Und als du dann rumgeschrien hast, richtig gebrüllt hast…

Ich muss sagen, jetzt, wo ich das hier schreibe und von vorn durchlebe, wird mir das immer klarer, wie hundsmiserabel ich das fand. Absolut respektlos, Dizzy. Mir ging es ehrlich gesagt für eine Weile ganz schön übel, und wie ihr mich angesehen und da an der Bar habt hocken lassen, wie so einen Ausgestoßenen, da war ich schon echt… enttäuscht. Und einsam. Keiner ist für mich eingestanden. Da hatte ich dieses Gefühl, dass meine eigene Familie mich irgendwie, ich weiß nicht. Missverstanden und verlassen hat. Und das war wirklich ein absolutes Scheißgefühl. Wie damals, als Leo (nach der Scheidung) aus der Firma abgehauen ist. Mann. Selbst die Band, wie die geschaut haben, als Dizzy Delia einfach von mir weggezerrt hat. Ein bisschen habe ich denen ihren Kabelbrand gegönnt. Ich glaube, ich habe so einigen so einiges gegönnt, in diesem Moment, allen voran Dizzy. Ich hab richtig angefangen, an mir selbst zu zweifeln. Stimmt irgendwas nicht? Sind diese Tartarröllchen wirklich so ungewöhnlich lecker, oder sind das nur ekelhafte rohe Fleischspiralen, die irgendein geldgieriger Upstarter in Schneckenhausform presst und dann deutlich zu viel Geld dafür verlangt? 

Aber: wenn ich eins gelernt habe, dann ist es, dass Grübeln und nachtragend zu sein nichts bringt. Das bringt nichts, ausser schlechter Laune. Und im schlimmsten Falle Hass. Und der ist sowieso der Tod der Kreativität. Also bin ich ins Badezimmer, hab mich vor den Spiegel gestellt und mich angesehen. Den Typen, der da zurücksah. Ein attraktiver, kreativer Typ in seinen Fünfzigern. Sportlich, erfolgreich, mit einer riesigen Familie. Richtig. Ihr. Und da war mir klar: Sowas passiert. In Familien wird gestritten. Wir sind alle Menschen. Es wäre komisch, wenn wir das nicht täten, wenn da immer nur eitel Sonnenschein wär. Wisst ihr warum? Weil das falsch wäre. Verlogen. Und ich habe eingangs schon erwähnt, dass ich hier ehrlich schreibe. Ehrlich und von der Leber weg. Des Leben ist ein Auf und Ab, ein permanentes Schwingen. Manchmal auch im Kleinen. Manchmal gibt es einen ganzen Schwingunsdurchgang im Laufe eines einzelnen Sommerfestabends. Ja. Und in dem Moment war mir klar, ich darf das Dizzy nicht übel nehmen. Die Aufwärtsschwingung wartet. Da draussen. Ich muss nur rausgehen, mich ihr präsentieren und sie reiten.

Also hab ich mir ein Herz gefasst und beschlossen, aktiv zu sein, und mehr so das Stehaufmännchen, das ich ja bin und euch auch vorleben will, und siehe da, die Stimmung besserte sich, und als die dumme Band notgedrungen aufgehört hat, ihre dummen, abgenudelten Lieder zu spielen und wir Musik aus Ginas Playlist angemacht haben (ich gestehe, das meiste davon kannte ich nicht, aber es hatte echt Pepp), da war die Stimmung wieder am brodeln und die Tanzfläche prall gefüllt. Und auch ohne Delia waren noch genug Tanzwütige dabei, allen voran natürlich die beiden neuen Praktikanten (die Fotos!), ein paar der Volontäre, die —meine Herren, wer hat die denn eingestellt?— ganz schön zur Sache gegangen sind und von denen später sogar noch ein BH irgendwo auf der Tanze rumlag, und auch Gina und ich haben uns nicht lumpen lassen, möchte ich sagen. Dafür, dass Gina erst siebzehn ist (Tommy, ich dachte, du sagtest mal deine Jüngste studiert im Ausland?), hatte sie schon richtig, richtig gute Moves drauf, so ein super feines feminines Schwingen irgendwie (als ob das Universum mir was sagen will, mit diesen ganzen Schwingungs-Analogien, haha). Jedenfalls schade, dass du, Tommy noch mal ins Büro musstest, wegen der Florida-Sache, aber es ist natürlich gut, dass die jetzt geklärt ist, denn ich wollte dich eigentlich fragen, ob Gina schon Alkohol trinken darf (sie meinte ja), aber das hatte sich dann sowieso erledigt, denn der krönende Abschluss kam erst noch, als die Praktikanten (OHMEINGOTT DIE FOTOS) Gina und mir eröffneten, dass sie einen Beutel mit, sagen wir, Muntermachern dabei hätten. Meine Herren. Ob wir davon gebrauch gemacht haben, bleibt natürlich ein Geheimnis, der Genießer schweigt, wie es so schön heißt, und aus den Reinigungsdamen bekommt ihr garantiert auch nichts raus 😀

Insgesamt war es wirklich ein fabelhaftes Sommerfest, und ich freue mich schon wahnsinnig darauf, nächstes Jahr wieder mit euch allen im großen Kreis zu feiern. Ich verspreche auch eine bessere Band oder zumindest eine brandfeste Bühne 😀

Ich umarme und küsse meine Familie,

Rudy


(Weitere Kurzgeschichten findet ihr in meinem kommenden Kurzgeschichtenband. Wenn ihr informiert werden wollt, wann der erscheint, schreibt mir eine kurze Mail mit dem Betreff „Kurzgeschichten“, dann setze ich euch auf die Mailingliste. Kein Spam. Versprochen. Und danke fürs Lesen.)

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